Geschichte

Das Ägerer Hofrecht von 1407 

Die historischen Wurzeln der Korporation Unterägeri reichen bis 
ins Spätmittelalter zurück, also bis ins 14. und 15. Jahrhundert. 
Ein Gründungsdatum kann nicht genannt werden, da die Korporation Unterägeri wie viele andere Korporationen nicht gegründet wurde, sondern sich allmählich entwickelt hat. 

Über die Entstehung der Korporationen gibt es bloss Vermutungen. Ziemlich sicher ist, dass die alte Vorstellung von Sippschaften, 
die bei der alemannischen Landnahme alles Land zuerst gemeinsam nutzten, ehe es teilweise in individuelle Nutzung überging, falsch ist. Der Prozess verlief eher umgekehrt: Am Anfang stand die Einzelnutzung, während die Allmenden erst im Laufe der hochmittelalterlichen Wachstumsphase besser erfasst, genutzt und abgegrenzt wurden. 

Einen ersten Hinweis auf die Existenz einer Unterägerer Genossenschaft gibt das auf 1407 datierte, aber wohl erst später entstandene sogenannte Ägerer Hofrecht, eine Zusammenstellung der gegen­seitigen Rechte und Pflichten von Herrschaft und Bauern. 
Dieses Dokument erwähnt mehrmals «die von Wil», womit das bis ins 18. Jahrhundert oft Wilen oder Wilägeri genannte Unterägeri 
gemeint ist. Ein Absatz nennt ausdrücklich die Allmend der Leute von Wil, was auf das Bestehen einer Vorform der späteren Korporation Unterägeri deutet. 

Wie die Nutzung dieser Allmend und die Allmendgenossen organisiert waren, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass im frühen 
15. Jahrhundert im Ägerital mindestens zwei Allmendgenossenschaften bestanden: im unteren Talbereich die «untere Gmeind», die spätere Korporation Unterägeri, und die «obere Gmeind» im oberen Tal, die spätere Korporation Oberägeri.


Erste überlieferte Allmendnutzungsordnung vom 28. April 1803

Die Korporation erbringt viele wichtige Leistungen, deren Nutzen weit über den Kreis der Korporationsbürgerinnen und -bürger hinausgeht. Sie ist aber heute für niemanden mehr von existenzieller Bedeutung, auch wenn die Bewirtschaftung von Allmendland 

für viele Bauern immer noch sehr wichtig ist. Dies war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ganz anders, als die Unterägerer Bevölkerung ihren Lebensunterhalt vorwiegend aus den lokalen Ressourcen bestreiten musste. Und diese bestanden vor allem aus den gemeinsam genutzten Allmenden, welche das offene Land, die Wälder und die Gewässer umfassten. Von ihnen hingen fast alle Existenzen ab, sei es jene eines reichen Grossbauern, der günstigen Weideplatz für sein Exportvieh nutzen oder Bauholz für ein neues Wohnhaus schlagen konnte, oder jene eines armen Taglöhners, der im Wald Brennholz, Waldfrüchte und Laub für Bettsäcke sammelte. Zudem bestand die Möglichkeit, sich für eine befristete Zeit auf der Allmend ein kleines Stück Pflanzland zu sichern. 

Die Allmendnutzung war in der Tendenz auf einen Ausgleich der Interessen hin orientiert. Strenge Regeln, festgehalten in regelmässig erneuerten Nutzungs- oder Summordnungen, sollten eine über­mässige Nutzung durch Einzelne verhindern. Auch das strenge, 

bis 1836 geltende Verbot, Allmendprodukte über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinaus zu verkaufen, zeigt, dass nicht der maximale Ertrag für den Einzelnen, sondern der Nutzen möglichst vieler Genossen und die Sicherung der Selbstversorgung das Ziel war.


Die erste «Verfassung der Corporationsgüter-Genossenschaft» vom 13. Oktober 1849

Die Gründung der modernen Korporation Unterägeri war unspektakulär. In der Gemeindeversammlung vom 13. Mai 1849 verlangte der Fürsprech Xaver Iten «eine strenge Ausscheidung des politischen Haushaltes vom Corporationsgut». Nach einer längeren Diskussion erachtete die Mehrheit «die Trennung in Bezug auf die Fremden und politischen Bürger als nothwendig» und wählte sogleich einen Korporationsrat. 

Der Entscheid der Unterägerer spiegelt eine tiefgreifende Veränderung. Bis ins 19. Jahrhundert war das Ägerital eine Welt für sich. Fremde wurden, soweit sie sich überhaupt niederlassen durften, allenfalls auf Zeit geduldet. Noch 1817, als Xaver Iten geboren wurde, besass fast die ganze Unterägerer Bevölkerung das Gemeinde­bürgerrecht. Politische Gemeinde und Korporationsgemeinde waren eins, der Gemeinderat verwaltete auch die Korporationsgüter und die Bürger entschieden sowohl über politische Güter als auch über die Allmendnutzung. 

Mit der Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit und der durch die Unterägerer Spinnereien bewirkten Zuwanderung veränderte sich die Bevölkerungsstruktur rasch. 1850 war schon jeder vierte Einwohner ein Fremder. Politische Gemeinde und Korporation deckten sich nicht mehr. Deshalb forderte die neue Kantonsverfassung von 1848, dass überall die Korporationen von der politischen Gemeinde zu trennen seien, was Xaver Iten zu seinem Antrag veranlasste. 

Der 13. Mai 1849 kann daher als Gründungsdatum der Korporation Unterägeri gelten.


Gemeindeentwicklung seit dem Mittelalter 

Die Geschichte der 1798 entstandenen Gemeinde Unterägeri beginnt in gewisser Weise schon im 15. Jahrhundert. Spätestens seit damals bestand im unteren Teil des Ägeritales eine eigenständige Allmendgenossenschaft, die «untere Gmeind», die in nicht näher bekannter Weise die Allmendnutzung regelte und die Interessen der Genossen gegenüber den benachbarten Korporationen vertrat, besonders gegenüber der «oberen Gmeind», der späteren Korporation Ober­ägeri. Verwaltet wurde die Korporation von den sogenannten Anwälten, welche Feld und Wald beaufsichtigten, Holz und Land austeilten und den Unterhalt von Allmend und Strassen durch Fronarbeiten organisierten. 

Als sich die Wilägerer oder Unterägerer im frühen 18. Jahrhundert kirchlich selbstständig machten, war die «untere Gmeind» ein wichtiger Rahmen für die 1714 gegründete Pfarrei Unterägeri. 

Die Versammlung der Korporationsgenossen wurde auch zur Kirchgemeindeversammlung. Die Korporation trug erheblich zum Bau der neuen Pfarrkirche und des Pfarrhauses bei. 

Nach dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft und der Gründung der Helvetischen Republik 1798 wurde Unterägeri zur eigenständigen politischen Gemeinde, die alle Einwohner, Einheimische und Fremde, umfasste, während die Bürger und Korporationsgenossen eine besondere Bürgergemeinde bildeten. Zwar wurde nach dem Zusammenbruch der Helvetischen Republik 1803 wieder die alte Einheitsgemeinde gebildet, jedoch zeichnete die helvetische Gemeindeorganisation jenen Aufbau vor, der 1848 mit der Trennung von politischer Gemeinde und Korporation und 1874 mit der zusätzlichen Ausscheidung von Bürgergemeinde und Kirchgemeinde realisiert wurde.


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Wie Unterägeri eine eigene Pfarrei und Gemeinde wurde
In zwei Schritten entstanden im 18. Jahrhundert aus der alten Talgemeinde die beiden
Gemeinden Oberägeri und Unterägeri. Der Gründung einer eigenen Pfarrei
Unterägeri 1714 folgte fast zwangsläufig 1798 die politische Trennung. Im 19. Jahrhundert
entwickelten sich die beiden Gemeinden politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich
auseinander, was die Rivalität verstärkte. Im 20. Jahrhundert machte
diese Rivalität allmählich einer vermehrten Zusammenarbeit Platz.

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Rechtsgutachten über die Korporation Unterägeri, 1864 

Was allen nur ein wenig gehört, wird oft schlecht genutzt und nachlässig gepflegt. Dies galt auch für die Unterägerer Allmenden. Seit dem späten 18. Jahrhundert verbreiteten sich Ideen, welche in der Privatisierung der Allmenden einen Weg zur effizienteren und ertragreicheren Nutzung sahen. Zudem verlangten Genossen ohne Viehbesitz, denen die gemeinsame Allmendweide nichts nutzte, vermehrt die Zuweisung von individuell bewirtschafteten Parzellen.

Diese Konstellation führte im 19. Jahrhundert in Unterägeri mehrmals zu heftigen Konflikten, welche die Gemeinde tief spalteten. 1803 mussten die Viehhalter ihren Gegnern, den «Pflanzland­petenten», die grosszügige Zuteilung von Pflanzland zugestehen. 1836 wurde nach erbittertem Kampf der Umfang des Pflanzlandes, das bloss auf eine gewisse Zeit zugeteilt wurde, noch weiter ausgedehnt und 1846 die Allmendweide generell aufgehoben. 

In den 1860er Jahre, rückte die vollständige Verteilung der Allmend zu Privateigentum ins Zentrum. 1875 wurde sie beschlossen, aber nicht realisiert, da die dabei benachteiligten Korporationsgenossinnen erfolgreich vor Gericht dagegen klagten. Erst mit dem Allmend­kompromiss von 1885, mit dem zu Besitz verteilten Land, fand man zu einer dauerhaften Lösung.


Übersichtsplan zur Verteilung der Allmend, 1885

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts stritten die Allmendgenossen immer wieder um die Art der Allmendnutzung. Was soll als Viehweide dienen, was als Pflanzland ausgeteilt werden? 

Oder sollen die Allmenden sogar ganz privatisiert werden? 

Diese 1875 beschlossene Lösung wurde gerichtlich unterbunden. Das Problem bestand aber weiterhin. Einerseits wollte sich kaum jemand mit dem bisherigen System der bloss auf Zeit zugeteilten Landstücke begnügen, andererseits stiess eine weitgehende Privatisierung auf starken Widerstand. 

Bei der Erneuerung der Allmendordnung 1885 fand man den Ausweg. Das Allmendland wurde zwar verteilt, aber nicht zu Privateigentum, sondern zu ständigem, aber beschränktem Besitz. Es durfte weder verpfändet noch sonst wie belastet und nur an andere Genossen übertragen werden. Kernpunkt war die Bestimmung: «Das in den Besitz der Korporationsgenossen übergegangene Land verliert den korporativen Charakter nicht.» Für die grosse Mehrheit war dieser Mittelweg akzeptabel. 

Der 1885 gefundene Weg aus dem Teilungsdilemma erwies sich auf lange Sicht als gangbar, denn noch heute besteht ein grosser Teil der Unterägerer Allmend aus zu ständigem Besitz verteiltem Land, eingeteilt in etwa 4000 Landstücke oder Züge.


Plan der Waldungen der Korporation, 1913 /14

Die Wälder der Korporation waren bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts keine abgegrenzten Bezirke mit besonderer Verwendung, sondern boten eine Vielfalt von Nutzungsmöglichkeiten. 

Sie waren Landreserven für die Ausweitung der Weideflächen, lieferten Bau- und Brennholz, Holz für Zäune, Werkzeuge, Schlitten, Fuhrwerke, Tröge oder Einbäume, Laub als Streue, Futter oder für die Bettsäcke, Harz für Handwerk, Hof und Haushalt, Rinde für die Gerber und den Käser. Sie dienten dem Gross- und Kleinvieh als Weide, waren Reviere für die kaum geregelte Jagd und ermöglichten eine ausgedehnte Sammelwirtschaft, die den Speiseplan bereicherte. Bis 1836 streng verboten war der Holzverkauf an Nicht­genossen.

Alljährlich teilten sich die Korporationsgenossen  individuelle Holznutzungen, «Holzhäue», zu. Das Holz mussten die Haushalte selbst fällen, zurüsten und abtransportieren. Von einer geordneten und schonenden Waldnutzung konnte keine Rede sein. Die Wald­fläche schrumpfte.

Mit der Aufhebung des allgemeinen Weidganges im Wald in den 1840er Jahren begann eine systematische Bewirtschaftung des Waldes mit der Wiederaufforstung abgeholzter Flächen und dem Aufbau einer Forstverwaltung. Ebenso wurden nun vermehrt Waldstrassen angelegt, die überhaupt erst die rationelle Nutzung ermöglichten. Diesem Ziel dienten auch die detaillierten Waldwirtschaftspläne, die seit dem späten 19. Jahrhundert die langfristige Nutzung regelten. Die Korporation wurde zur Holzproduzentin und damit zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor auch als Arbeitgeberin.